Colditz, Hugo Friedrich,
Lehrer, Chronist, Kartograf,
* 24. 3.1857 Lichtenstein, † 23.1.1933 Lichtenstein, ▭ Lichtenstein (ev.).
V Friedrich Volkmar Colditz (*11.2.1830 Dorfchemnitz, † 21.9.1902 Lichtenstein), Tischlermeister
M Wilhelmine Friedericke, geborene Seim (*08.01.1833 Lichtenstein, + 19.02.1892 Lichtenstein)
Der Leitspruch von C., „Das Wissen von der Heimat - stärkt die Liebe zu der Heimat“ symbolisiert seine Intentionen in der stadt- und regionalhistorischen Forschungen: Das Wissen über das Wer hat Was zu welchem Zeitpunkt und vor allem warum und in welchem Zusammenhang gemacht, erklärt das Hier und Jetzt. C. war der erste Lichtensteiner, der sich umfassend unter schwierigen Bedingungen mit der Erforschung der Lichtensteiner Stadtgeschichte befasst hat. Er ist daher auch in der Gegenwart immer noch als der erste namentlich bekannte Stadthistoriker in Erinnerung geblieben. Von C. stammen die ersten Lichtensteiner stadthistorischen Publikationen. Auf seine Arbeiten bezogen sich in der Vergangenheit und Gegenwart alle an der Stadthistorie interessierten Einwohner Lichtensteins. Ohne die Forschungsarbeit von Hugo Colditz wäre wichtiges stadthistorisches Wissen in Text und Bild unwiederbringlich verloren gegangen. Als berufener Heimatforscher, hat C. zwar kein Gesamtwerk aller seiner Schriften hinterlassen, aber ein umfangreiches Gesamtwerk von 90 Einzelveröffentlichungen in Periodika sowie vier Monografien. C. entstammte einer etwas besser situierten Gelehrtenfamilie, deren männliche Vertreter oftmals den Beruf des Lehrers ausübten. C. besuchte die Lichtensteiner Volksschule von cirka 1863 bis 1871. C. ergriff wie seine Vorfahren und sein Bruder die Ausbildung zum Volksschullehrer am Fürstlich-Schönburgischen Lehrerseminar in Waldenburg unter dem Direktorat von Friedrich Wilhelm Schütze (1807-1888). Dort erhielt C. 1871 bis 1876 seine Ausbildung, wo demokratische und liberale Ideen nach der 1848/49er Revolution keine Rolle mehr spielten, dafür aber der christliche Glaube und die Unfehlbarkeit des Adels im Mittelpunkt der Ausbildung standen. Dies war für C. prägend. Er studierte in einer Zeit des Umschwungs; das Bildungswesen Sachsens wurde tiefgreifend reformiert und modernisiert, das seit 1835 gültige Volksschulgesetz war mit dem am 26.04.1873 neu erlassenen Volksschulgesetz und der damit einhergehenden Trennung von Kirche und Schule reformiert worden. Die Bildungsbegrenzung der Volkschullehrer wurde aufgehoben, die Fächer deutlich erweitert. Im Fach Geschichte wurde die Entwicklung Deutschlands sowie Sachsens hervorgehoben. Möglich ist, dass diese stark heimatbezogene Geschichtsvermittlung die Grundlage für C.`s späteres Interesse an der Heimatgeschichte legte. Am 09.10.1876 begann die berufliche Laufbahn von C. als Hilfslehrer in Lichtenstein. Nach erfolgreichem Bestehen der Wahlfähigkeitsprüfung 1879 konnte C. als ständiger Lehrer an der Lichtensteiner Volksschule, seiner eigenen früheren Schule, tätig werden. Er unterrichtete u.a. in den Fächern Religion Kirchengeschichte, Deutsch, Erdkunde, Naturlehre und Rechnen. C. war ein moderner, innovativer Lehrer und trat für eine gleiche Schulbildung für Alle ungeachtet ihrer Herkunft ein. Bezeichnend für seine Art der Wissensvermittlung war deren praktischer Nutzen, er war ein Lehrer, der Wissen für das Leben vermitteln wollte. Hiermit einzuordnen ist auch die Tätigkeit von C. als Kartograf, in dem er eine Karte von Lichtenstein und der näheren Umgebung für seine Schüler selbst entwickelte. Seinen Schülern versuchte er die Berufswahl zu erleichtern, indem er gemeinsam mit ihnen Exkursionen in Handwerksbetriebe und Industrieunternehmen Lichtensteins drchführte. Viele seiner Zöglinge hat er noch nach der Schulzeit gefördert; einer seiner prominentesten Schüler war Prof. Dr. Max Schneider, der als Direktor des Leipziger Zoos weltbekannt wurde. Großen Wert legte C. als botanisch interessierter Lehrer an der Vermittlung alltagsrelevanter botanischer Kenntnisse. Auch als Pilzberater hat C. seine Kenntnisse uneigennützig der gesamten Bevölkerung zur Verfügung gestellt. Mit der Verleihung des Titels „Oberlehrer“ 1901 wurden C. dessen Tüchtigkeit, Gewissenhaftigkeit und Pflichtbewusstsein bescheinigt. Seine Schüler sprachen in Liebe und Verehrung von ihrem Oberlehrer Colditz. C. engagierte sich 48 Jahre lang im 1885 gegründeten Bezirkslehrerverein Lichtenstein, ein Zweigverein des Allg. Sächs. Lehrervereins, gegründet 1848. Am 15.04.1921 wurde C. aus dem Schuldienst altersbedingt entlassen. C. war eine vielseitig engagierte und interessierte Persönlichkeit. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer war er Gründer und langjähriger Vorsitzender des Gabelsbergerschen Stenographenvereins in Lichtenstein. Als zeitweiser Vorsitzender des 1860 gegründeten Rosenvereins (der älteste Verein Deutschlands) verhalf er zu dessen Ansehen weit über die Grenzen Lichtensteins hinaus. Als Mitglied des Gebirgs-, Verschönerungsvereins konnte er die Interessen der Lichtensteiner Bürger in die Stadtentwicklung aktiv einbringen. Im Mittelpunkt standen die Verschönerung Lichtensteins, was in engem Zusammenhang mit deren historischen Erforschung steht. In Lichtenstein fand 1905 ein Heimatfest auf Anregung des „Verschönerungsvereins“ statt, an dessen Vorbereitung C. aktiv beteiligt war. Währenddessen wurde unter maßgeblicher Beteiligung von C. eine Sammlung zur Heimatgeschichte - die Altertumssammlung - erstmals gezeigt. Diese wurde zur Grundlage des Heimatmuseums in Lichtenstein, was am 21.07.1912 eröffnet wurde. Lichtenstein hatte damit erstmals in seiner Geschichte einen Ort zur Bewahrung der gegenständlichen Historie. Für dessen immer wieder bedrohte Existenz setzte sich C. bis zu seinem Lebensende ein. Als Stadthistoriker musste C. Grundlagenforschung betreiben, die meisten Fakten erarbeitete er sich in umfangreichen und akribischen Archivalienstudien vorrangig im Lichtensteiner Stadt– und Kirchenarchiv. Aus dieser fundamentalen, vermutlich erstmaligen Quellenrecherche hatte C. es verstanden, für sein Publikum, die Lichtensteiner Bevölkerung und seine Schüler inhaltsreiche und lesenswerte Aufsätze zu verfassen. Thematisch befasste C. sich vordergründig mit einzelnen Themen der Geschichte Lichtensteins (30jähriger Krieg, Brandgeschehen, Kirchengeschichte, Handwerk und Gewerbe, Schulgeschichte, unterirdische Ganganlagen, Gesellschaftsgeschichte, lokale Ortsbezeichnungen, lokale Stiftungen). Mit den Themen Schloss Lichtenstein sowie Gründung und Entwicklung der Stadt Callnberg hatte er sich aber auch mit der regionalen Geschichte Adelshauses der Schönburger befasst. 1904 erschien die Abhandlung zur schönburgischen Geschichte unter dem Titel „Aus der Geschichte Schönburgs“. Verlegt wurde das Werk durch Hugo Colditz selbst. C. ist dabei nicht zu den von den Schönburgern beauftragten und bezahlten sowie auch zensierten Hausgeschichtsschreibern, Theodor Schön, Reinhold Hoffmann, Conrad Müller, zu zählen. C. hatte jedoch mit den schönburgischen Archiven zusammengearbeitet; eine Einflussnahme der Schönburger auf den Inhalt ist, anders als bei den genannten Hausgeschichtsschreibern, nicht nachweisbar.
Mit der Neupublikation der Werke von C. 2019 konnten auch dessen Primärquellen sowie verwendete Sekundärliteratur eruiert werden, was eine quellenbasierte Arbeit von C. nachweist. Zudem konnten von C. verwendete Quellen aufgefunden werden, deren Existenz bislang unbekannt war. C. letzte historischen Forschungen veröffentlichte er im Lichtenstein-Callnberger Erzähler, einer Beilage des lokalen „Lichtenstein-Callnberger Anzeiger“. C. war Initiator und Ideengeber für die zweimal monatlich, erstmals periodisch erschienene Veröffentlichung zur Stadtgeschichte, die als Sammelwerk konzipiert war, über elf Jahre bis 1937erschien. Wie der „Lichtenstein-Callnberger Anzeiger“ selbst, wurde auch der „Lichtenstein-Callnberger Erzähler“ in keiner Bibliothek archiviert. C.s Zeitgenossen sahen ihn als „einem Mann, dessen Name mit der Geschichte des Schönburgischen Landes und unserer Stadt unzertrennlich auf alle Zeiten verbunden bleiben wird“ (STAL 1.V.2.12.2). C. zu Ehren wurde 1934 die frühere Schulstraße nach ihm umbenannt. C. wurde Vorbild für nachfolgende Stadthistoriker, wie Willibald Fritzsche (1875-1944), Ulrich Köhler-Haußen (1900-1985) und Willi Dörfel (1896-1986), Bruno Lippmann (1896-1978), der mit seiner „Geschichte der Stadt Lichtenstein/Sa.“ ein bleibendes historisches Denkmal für Lichtenstein auf Basis der Arbeiten von C schuf. Nach der Chronik von Bruno Lippmann 1966 kam die historische Forschung in Lichtenstein zum Erliegen. Auch das Stadtmuseum wurde 1971 aufgelöst. Kurz nach der politischen Wende in der DDR fanden sich an der Stadtgeschichte interessierte Einwohner Lichtensteins zusammen und gründeten am 13.11.1991 den Verein für Geschichte der Stadt Lichtenstein/Sa. e.V. Das Werk von C. bildet die Grundlage und ist Vorbild der Arbeit des Vereins, wie auch C.`s Leitspruch der Leitgedanke des Vereins ist. Der am 16.10.2010 von gegründete „Freundeskreis des Museums der Stadt Lichtenstein/ Sachsen“ führt die Tradition der Publikation von historischen Schriften der Stadt Lichtenstein seit 2012 ganz im Sinne von C. fort.
W Monografien
Lichtenstein, Callnberg und Umgegend, Hrsg. von Richard Kannopka, Lichtenstein-C.:
Giegling,1899
Aus der Geschichte Schönburgs, Lichtenstein; Selbstverl. des Verf., 1904
Lichtenstein-Callnberg: mit Industrie, Gewerbe und Handel in Wort und Bild,
Chemnitz, A. Jülich Graphische Kunstanstalt, 1909
Die Stadt: Monographien entwicklungsfähiger Städte, Ausgabe Lichtenstein-Callnberg
i. Sa., Berlin, Monos-Verl., 1923
Lichtenstein-Callnberg, In: Die industrielle Bedeutung der Orte Hohenstein-Ernstthal,
Lichtenstein-Callnberg und Oberlungwitz auf dem Weltmarkt, Chemnitz, Druck- u.
Werbe-Haus, 1928, S. 19-26
Komplettes Werkverzeichnis inkl. Der Aufsätze in Periodika s. Bochmann, Patrick Das
Leben und Werk von Hugo Colditz
Lichtensteins berühmter Stadthistoriker, Lichtenstein, 2019, S. 131-136
L Prathel, Kurt Ein verdienter Heimatforscher, In: Kultur und Heimat, Monatsheft des
Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands für den Kreis Hohenstein-
Ernstthal, April 1957, S. 72-73; Bochmann, Patrick Das Leben und Werk von Hugo Colditz
Lichtensteins berühmter Stadthistoriker, Lichtenstein, 2019 (P)
P Familienarchiv Colditz, Lichtenstein/ Göpfert, Marburg, um 1900
Autor: Patrick Bochmann