Innere Mission und Nichtsesshaftenhilfe – Die Herberge zur Heimat

 

Die Anfänge der Inneren Mission und der Herbergen der Heimat stehen in unmittelbar im Zusammenhang mit den sozialen und ökonomischen Veränderungen Mitte des 19. Jahrhunderts.

Den umherziehenden Handwerksburschen fehlten ständige soziale Bindungen und Sicherheit. Sie kamen viel zu oft in materielle Schwierigkeiten und fanden durch die fortschreitende Industrialisierung schwer Arbeit im Handwerk. Johann Hinrich Wichern sah in der Hilfe für wandernde Handwerkgesellen ein wichtiges christliches Anliegen. Es entstanden die Herbergen zur Heimat. Gleichzeitig sollte das auch der Ausgangpunkt für eine soziale Reform werden.

Von der Obrigkeit wurden die Wandergesellen gar als politische und soziale Gefahr wahrgenommen. Ziel war es also auch, sie unter Kontrolle der Obrigkeit zu bringen und auch Kost und Logis zu geben.

 

Über die Herberge „Zur Heimat“ in Lichtenstein ist derzeit wenig bekannt. Nur mit Mühe ließ sich der ehemalige Standort ermitteln: im Gebäude neben dem Hospital zum Heiligen Kreuz in der Kirchgasse. Entstanden ist die Herberge 1890. Der Träger der Herberge war die innere Mission, konkret der Kirchenverein der Amtshauptmannschaft Glauchau.

 

In diesem Zusammenhang wurden bisher nur die Akten im Stadtarchiv betrachtet. Noch offen ist eine Prüfung, ob sich im Kirchenarchiv eventuell auch noch Material über die Herberge finden würde.

 

Die Akten im Stadtarchiv geben Auskunft über die Bekämpfung des Wanderarmenwesens durch das Königreich Sachsen und das deutsche Kaiserreich.

 

Anlass zur Erstellung der Unterlagen waren zwei Gesetzesentwürfe an den Reichstag, über die das sächsische Ministerium des Innern am 13.Juni1913 den Stadtrat von Lichtenstein informierte.

 

Diese Gesetzesentwürfe sahen die Abänderung des Unterstützungswohnsitzgesetzes vor, damit durch das Land ziehende Hilfsbedürftige besser unterstützt werden konnten. Dazu sollten durch den Staat oder durch örtlich-rechtliche Verbände Arbeitsstätten und Arbeitsheime errichtet werden, die vorübergehende Arbeit, Beköstigung, Obdach und Kleidung gaben.

 

Von diesen Gesetzesentwürfen ausgehend wollte das Ministerium des Innern in Dresden Informationen von der Stadtverwaltung über Naturalverpflegungsstationen an den Hauptwanderstrecken haben. Das Ministerium erwartete Aufschluss über die Ausbaufähigkeit

 

vorhandener Einrichtungen zu Arbeitsstätten. Die Fragen bezogen sich auf Lage, Finanzierung, Betreibung und Zahl der Wandernden.

 

Die Antwort der Stadtverwaltung gibt Auskunft über die Herberge „Zur Heimat“ in Lichtenstein, die an den Wanderwegen von Chemnitz nach Zwickau, von Lößnitz nach Waldenburg und zwischen Stollberg und Glauchau lag.  Durchschnittlich registrierte man in den Jahren von 1900 bis 1912 rund 3000 Besucher jährlich.

 

Die Finanzierung erfolgte bis 1911 durch die innere Mission, ab 1912 durch die städtische Girokasse.  Wer die Herberge aufsuchte und Hilfe in Anspruch nahm, musste sich dem Arbeitszwang unterwerfen. Die tägliche Arbeitszeit betrug 4 Stunden und bestand fast ausschließlich aus Holz hacken und sägen. Die Vergütung dafür betrug 18 Pfennige pro Stunde.

 

Die Unterstützung bestand vorrangig aus Naturalverpflegung und Nachtlager. Dafür wurde ein geringes Entgelt verlangt; ein Nachlager mit Abendbrot 15 Pfennige, ein Frühstück 11-13 Pfennige, ein Mittagessen 18 Pfennige.

 

Die Lichtensteiner Herberge hatte keine Bücherei und kein öffentliches Lokal. Es herrschte Alkoholverbot.  Geleitet wurde die Herberge durch einen im Landeshaus Moritzburg vorgebildeten Hausvater, der von seiner Ehefrau unterstützt wurde.

 

Wenn ortsansässige Handwerksmeister Arbeitskräfte suchten, konnten sie beim Verwalter anfragen.

 

Das Aus der Herberge kam im ersten Weltkrieg, denn auch die wandernden Gesellen und Obdachlosen wurden als Soldaten eingezogen.

 

 

 

Angela Schramm

 

(Quelle: Angela Schramm, Diplomarbeit, Technische Universität Chemnitz, Chemnitz 1999)